Parnass 03/10 - Design für Perfektionisten (von Matthias Boeckl)
Michael Embacher, Interior-Künstler für ungewöhnliche
Aufgaben
Dem berühmten deutschen Architekten und minimalistischen Künstler
Ludwig Mies van der Rohe wird ein programmatischer Ausspruch zugeschrieben:
„Gott wohnt im Detail“. Der Wiener Michael Embacher (46)
lebt dieses Prinzip wie kaum ein anderer. Er entwirft vor allem Interieurs
für sehr spezielle Kunden. Mit sehr speziellen Ergebnissen, die
schon auf den ersten Blick den unbremsbaren Hang zum funktionalen Perfektionismus
und die Obsession mit unkonventionellen Materialien verrät. Büros
und Wohnungen, Ausstellungsräume und Installationen – oft
sind es alltägliche Aufgaben, doch stets sind es Bauherren, die
extrem hohe kulturelle oder künstlerische Ansprüche haben.
Künstler eben, oder Leute, die Kunst lieben. Und die sich niemals
mit Standardlösungen zufrieden geben, sondern Lust am Experimentieren
empfinden. Einem Sammler und Kunsthistoriker baute Embacher beispielsweise
eine Küche ein, deren Schrankoberflächen nicht aus den üblichen
Lacken und Kunststoffen bestehen, sondern aus dem Gummi des legendären
REX-Einmachglases. Es altert zu einer wunderbar fleckigen Struktur und
sieht am Ende aus wie Marmor. Ist aber dennoch aus Gummi.
Museumsarbeit
Derart subtile Material-Ironien setzten natürlich Bildung und Humor
voraus. Über diese glückliche Charakter-Kombination verfügen
nur die Wenigsten. Dennoch gibt es in Österreich ausreichend viele
Gebildete, Vermögende oder Humorvolle, sodass Embacher seit achtzehn
Jahren ein kleines Büro mit zwölf Mitarbeitern betreiben kann.
Es tut nichts anderes als Hi-End-Konstruktionen für die Liebhaber
der vollendeten Form zu planen. Vom Schlüsselanhänger bis
zum kompletten Bau mittlerer Größe entwirft Embacher eigentlich
alles. Er sieht sich – viel zu bescheiden – als einfacher
Dienstleister, nicht als Künstler. Das dürfte seinen de-facto-Berufskollegen,
den Architekten, missfallen. Denn nichts fürchten sie mehr, als
auf die Funktion einer angeblich minderwertigen „Planungs-Dienstleistung“
reduziert zu werden. Doch was, wenn der Bauherr höchst gebildet
ist und Experte auf mehreren Kulturgebieten? Da kommen durchschnittlich
gebildete traditionelle Planer kaum weiter. An der TU lernt man eben
nicht, für Leute zu planen, die Singuläres fordern. Aber wie
wird man dann zum erfolgreichen Designer künstlerisch und technisch
derart anspruchsvoller Bauaufgaben? Niemand kann das anstreben, auch
Embacher tat es nicht. Eine individuelle Begabung muss auf eine Individuelle
Nachfrage stoßen. Die größten Chancen dafür gibt
es naturgemäß im Kunstbetrieb, in dem auch Embacher „aufwuchs“.
Als Architekturstudent bevorzugte er eine „luxuriöse“
Lernmethode, die damals belächelt wurde und heute noch immer nicht
selbstverständlich ist: Das reale Ausprobieren von Konstruktionen
statt dem bloßen Entwerfen und Berechnen. Kein Wunder, dass er
bei einem Architekten arbeiten wollte, der genau das tat: Aus inhaltliche
und funktionale Überlegungen innovative Formen zu entwickeln, die
dann in der Regel erstmals und oft auch nur ein einziges Mal von ehrgeizigen
und geduldigen Ausführungsfirmen realisiert werden. Das war Günther
Domenig, Begründer der legendären Grazer Architektur-Schule
und Objektkünstler von Rang. Bei Domenig arbeitete Embacher am
Entwurf für das Bürohaus einer Bank und an der Ausstellung
von dessen „Steinhaus“ im Wiener Museum für angewandte
Kunst (MAK). So lernte er MAK-Direktor Noever kennen, der ihn später
mit kleineren Umbauten beauftragte. Nach drei Jahren wechselte er zu
Sepp Müller, der am Umbau des MaK arbeitete. Später plante
Embacher für das MAK als freier Designer und entwarf Ausstellungsinstallationen,
kleinere Umbauten wie jene der Bibliothek und der Buchhandlung sowie
– gemeinsam mit Peter Noever und Sepp Müller – ein
Umbauprojekt für einen der berüchtigten Wiener „Flak-Türme“
der NS Zeit, in dem ein Depot des MAK untergebracht ist und das zum
„Contemporary Art Tower (CAT)“ adaptiert werden soll.
Ausprobieren statt studieren
Werbung für sich muss Embacher keine machen. „Leute kommen
zu mir, die sich für ihr Geld von mir etwas machen lassen“,
sagt er lakonisch. Und da kommt es auf die richtige Einstellung an:
„ Ich versuche, etwas gut zu machen und mich der jeweiligen Aufgabe
unterzuordnen“ – und auf den richtigen Draht zum Bauherrn:“
Mann muss versuchen, die Menschen zu verstehen“. Die spannendste
Verständnis-Aufgabe kam früh: Für eine Installation des
New Yorker Künstlers Vito Acconci hatte Embacher ganze drei Monate
Zeit, eine gewaltige Konstruktion aus hundert Tonnen Stahl für
den großen Ausstellungssaal des MAK zu realisieren. Spätestens
bei dieser Arbeit hat Embacher „gelernt zu verstehen was Künstlern
wichtig ist“. Diese Einfühlungsfähigkeit, die überaus
sinnliche Experimentierlust und die Leidenschaft für unkonventionelle
Materialien und Konstruktionen formen ein singuläres Künstlerprofil.
Sehr anschaulich kann man das erleben, wenn man Embachers Atelier besucht.
Alles hier, von der Lage bis zum kleinsten Detail, lässt den obsessiven
Konstrukteur spüren. Eine typische Gewerbefläche in einem
Hinterhoftrakt in Wien-Neubau. Embacher war der erste „Kreative“
in diesem angeregten industriellen Ambiente. Nach ihm mieteten sich
weitere Architekten ein, darunter die bekannte und erfolgreiche Truppe
BEHF. Embachers Atelier ist angefüllt mit chinesischen beschrifteten
Schachteln, in denen sich alles findet, was ein Designer und Konstrukteur
so braucht: Scharniere und Winkel, Beschläge aller Art, Materialproben
von Papier über Holzarten bis zu Stahl und Stein. Embacher muss
alles sehen, fühlen und begreifen können:“ Ich lerne
mehr, wenn ich es ausprobiere, als wenn mir jemand sagt, wie es geht.“
Die chinesische Inventarisierung stammt von seiner Frau, die aus Taiwan
kommt.
Jean Prouvé und das Erfinder-Design
Wer sind Embachers Helden? Auch das ist nicht schwer zu erraten, denn
alles, was unkonventionelle Konstruktion und konstruktionsbestimmtes
Design betrifft, kommt dafür in Frage. Der Säulenheilige dieser
Fraktion ist Jean Prouvé (1901 – 1984), Sohn des Begründers
der École de Nancy und ausgebildeter Kunstschmied, später
Designer und Architekt. Prouvé ist berühmt für seine
Möbelentwürfe und Serienhäuser, die er meist als Metallkonstruktionen
schuf. Permanente Erfindung ist das tägliche Brot derartiger Konstrukteure.
Auch Embacher besitzt natürlich Patente für einige seiner
Kreationen, beispielsweise für ein überaus innovatives und
effizientes Plakatarchivierungssystem. Solche Leidenschaften finden
ihre Verbündeten. Für die Österreich-Zentrale eines Chemiekonzerns,
der Haushaltsreiniger herstellt, entwarf Embacher ein Büro. Der
Chef ist Kunstkenner und Sammler, er wünschte sich „etwas
Besonderes.“ Embacher brachte die Ästhetik von Jean Prouvé
ins Spiel – worauf sich herausstellte, dass der Manager seit dreißig
Jahren Prouvé sammelt. Klar, dass dann ganze zwei Treffen mit
dem Bauherrn genügten, um zu klären, dass der Designer jeden
einzelnen Entwicklungsprozess der nötigen Komponenten (vom geklappten
Sideboard mit Hinterleuchten über die Integration der Elektronik
in raffinierte Büromöbel bis zu höchst eleganten Nasszellen)
bis zum logischen ende durchzuarbeiten durfte. Das Ergebnis passt wie
ein Maßanzug. Die gediegene, gleichzeitig aber subtil künstlerische
Atmosphäre der Räume ist beeindruckend.
Stimmungen sind konstruierbar
Überhaupt ist Embacher Virtuose in der Inszenierung von Stimmungen.
Für den Schlosspark von Schönbrunn etwa sollte er Pavillions
nach historischen Vorbildern planen. Aber er wählte nicht Holz
als vermeintlich nahe liegendes Baumaterial dieser Aufgabe, sondern
Nirosta-Stahl. Die gestanzten Wandelemente sind robust und selbsttragend,
ihre metallisch glänzende Oberfläche ist aber stabil, reflektiert
das Umgebungsgrün und schirmt eine Wendeltreppe dezent ab, die
im Inneren auf eine erhöhte Aussichtplattform führt. Im Schloss
selbst führt ein roter Teppich aus gestanztem Edelstahl die Treppen
hinauf zu den Büros der Geschäftsführung. Doch nicht
am Boden, sondern an der Wand. Da ist es nicht mehr ganz so überraschend,
wenn Embacher in Umkehrung bekannter Weisheiten sagt:“ Design
ist subjektiv und kann nicht jedem gefallen. Atmosphäre und Stimmungen
hingegen sind objektivierbar. Und funktionell heißt auch sinnlich.“
Das Spektrum bisher realisierter Projekte ist beachtlich - das Design
des Auftritts des österreichischen EU-Vorsitzes 2006 findet sich
ebenso in der Liste wie der Bau eines technisch aufwendigen Depotgebäudes
für historische Filme in Laxenburg. Für die private Kunstgalerie
einer Sammlerin baute Embacher ein Wiener Gründerzeithaus um. Hier
ging es abermals um subtile Details, die den Kunstgenuss unterstützen
sollten. Türen verschwinden da bündig in Wandflächen,
ganz ohne Rahmen. Das ist Millimeterarbeit. Türgriffe sind vernickelt,
nicht verchromt, weil das wärmer und angenehmer anzugreifen ist.
Die Atmosphäre, die hier zu erzielen war, beschreibt Embacher lapidar
mit „klösterlich-ruhig.“ Seine Interior Designs treffen
das erwünschte atmosphärische Ziel stets punktgenau. Das gilt
auch für einen Laden für Silberwaren, den Embacher jüngst
in der Wiener Innenstadt gestaltete. Ein Miniaturlokal aus nur zwei
kleinen Räumen. Mittels geschickter Einbauten werden aber die vielen
geforderten Funktionen scheinbar spielerisch untergebracht: Vitrinen
für die Präsentation, Schubladen für die Ware, eine Klapptheke
für Begutachtungen, eine Büronische für die Beraterin.
Unwillkürlich fühlt man sich an jene alten englischen Schrankkoffer
erinnert, die in ihrem komplexen Innenleben sämtliche Aufbewahrungsarten
für Kleider, Schuhe und Accessoires reproduzieren, die man von
zuhause gewöhnt ist.
Fahrraddesign als Philosophie
Kaum etwas vermittelt anschaulichere Einsichten in Embachers Philosophie
als sein Hobby, das sich mittlerweile zu einer weltweit fast einzigartigen
Kollektion ausgewachsen hat. Embacher sammelt besonders Fahrräder
aller Art, Klappräder, Rennräder, Tandems, Mountainbikes.
Die Analogie zu seiner Funktionalität herzustellen unter Verzicht
auf alles, das für den gegebenen Zweck unnötig ist. Und die
Faszination der schier unendlichen Typen-, Material- und Konstruktionsvielfalt,
die seit über hundert Jahren unter einer vorderhand simplen Aufgabenstellung
entstanden ist. Embacher hat 2007 seine Sammlung in Buchform publiziert,
ein zweiter Band wird demnächst bei Thames & Hudson in London
erscheinen. Eines ist klar: Wer sich auf ähnliche Weise für
die Poesie dieser Konstruktion begeistert wie Embacher, der hat auch
ein Interieur von ihm verdient.
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